Frankfurts „Club Voltaire“ war überfüllt, als Michael Schmidt-Salomon auf Einladung von 42 e.V. aus seinem neuesten Buch „Die Grenzen der Toleranz. Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen“ las. Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung lieferte in der Tradition von Karl Popper gleichzeitig ein Bekenntnis zur toleranten Gesellschaft wie auch die Aufforderung, nicht beim bislang erreichten Stand stehenzubleiben: Die Verfassungswirklichkeit entspreche noch nicht den säkularen Prinzipien, auf denen unsere Verfassung beruhe.
Für Moderator Peter Menne war Schmidt-Salomon ein alter Bekannter: er erinnerte an die Lesung aus dessen erstem Roman „Stollbergs Inferno“ vor 12 Jahren im Club Voltaire oder an Schmidt-Salomons Eröffnungsvortrag in der Reihe „Leitkultur Menschenrechte“. Damals warnte der Referent: „wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht!“.
Im Club Voltaire glänzte Schmidt-Salomon wieder mit geschliffenen Formulierungen: er geißelte den „Empörialismus“, der „mit halben Wahrheiten ganze Erfolge feiert“. Toleranz nannte er eine „zentrale Tugend, aber kein Wert an sich“ und erinnerte an Poppers Paradoxon, wonach uneingeschränkte Toleranz zu deren Verschwinden führe.
Schmidt-Salomon hingegen betonte den Wert der „Streitkultur“: zivilisierte Auseinandersetzung treibe den Wettbewerb der Ideen voran, sei der Motor des Fortschritts. Daraus folge notwendig, dass Glaubensüberzeugungen verletzt werden. Doch in welchem Maße ist das zulässig? In der Technik werden zulässige Abweichungen definiert, die ein System verkraften könne, ohne funktionsunfähig zu werden. Dies könne auch auf Gesellschaften übertragen werden – wobei Schmidt-Salomon sich gegen einen relativistischen Toleranzbegriff verwahrte, nach dem z.B. in Saudi-Arabien keine geringere, sondern bloß eine „andere“ Toleranz herrsche. Tatsächlich komme es darauf an, wie hoch das Maß der Abweichung ist, das eine Gesellschaft erlaube.
Eine offene Gesellschaft sei durch vier Prinzipien geprägt: Liberalität, Egalität, Säkularität und Individualität. Wobei Liberalität = Freiheit keineswegs das Gegenteil von Egalität = Gleichheit sei. Sondern das Gegenteil von Freiheit sei Paternalismus und (staatliche) Bevormundung. Das Gegenteil von Gleichheit sei Elitarismus. In einer offenen Gesellschaft müssten nicht nur die Regeln säkular sein, sondern auch deren Begründungen.
Was die Feinde der offenen Gesellschaft eine, sei ihr Kollektivismus: dort bilde nicht das Individuum die Basis, sondern sie definierten sich in aller Regel über eine Gruppenzugehörigkeit: zugehörig zu einem Clan, einem Glauben. Bei Muslimen und Evangelikalen grassiere der „Familismus“: da leite sich der Einzelne von seiner Familie ab, stehe die elterliche Sorge erheblich höher als die Rechte der Kinder.
Eine ausführliche Diskussion schloß sich an, in der sich auch ein überzeugter Muslim zu Wort meldete. Inhaltlich war man sich nicht einig – aber auch dank des Moderators konnten inhaltliche Gegner ausreden: es wurde respektvoll in der Sache diskutiert.